Moin,
ich wollte hier mal nach Meinungen meiner Meisterkollegen fragen. Wer nicht lange Ausschmückungen mag, das wichtige steht ganz am Ende hinter der Zeile mit ----Zum Punkt----, weil ich hier mal wieder in Gang gekommen bin und viel zu viel geschrieben habe.
Und zwar leite ich ja grade immer mal wieder Probegruppen und habe deshalb in letzter Zeit wohl an die drei Dutzend Heldenentwürfe von zwei Dutzend Spielern angesehen. Was mir immer auffällt und mich höllisch nervt:
Die Spielfiguren, die herauskommen, sind alle hoffnungslos überzogen.
----Achtung, ab hier sind künstlerische Elemente im Text enthalten-----
Wir haben ein völlig falsches Bild von Aventurien. Es ist gar keine spannende, bunte, abwechslungsreiche Welt voller Schwertkämpfer, Magie, Götter, Feen, Dämonen, Märchenwesen und unendlichen Möglichkeiten. Vielmehr ist es eine stahlharte, öde, entzauberte, reizlose und desillusionierende Wüste mit einer gnadenlosen Leistungsgesellschaft voller Kälte, Verzweiflung, Vereinsamung und Hoffnungslosigkeit.
Beweis: die Bewohner dort, selbst die herausragenden Helden, sind geistige Wracks, die sich im Wesentlichen nur für die eigene Person interessieren, ihren Psychosen, Neurosen, Süchten, krankhaftem Hass und Phobien hemmungslos nachgeben und deren Motivation es ist, auf dem Weg in den unvermeidlichen Untergang noch ein wenig rücksichtslosen Hedonismus auszuleben.
Wie konnte es nur soweit kommen? Ganz einfach:
---Ab hier wieder ernsthaft---
Die Erschaffung läuft so: Rasse und Profession so wählen, dass möglichst viele Vor- und Nachteile schon vorgegeben sind und dann nich unter die 30GP/50GP-Regel fallen (man könnte meinen, alle Rollenspieler sind im wirklichen Leben Steuerberater). Dann auf Teufel komm raus Vorteile wählen. Bis zum Anschlag, immer. Die dann am liebsten durch schlechte Eigenschaften, Phobien, Süchte usw. ausgleichen. Dann unbedingt noch "Unfähigkeit für Alleswasichehnielernenwill" ausbauen. Nicht vergessen: Schon gleich zu Beginn Sonderfertigkeiten können. Talentspezialisierungen, Zauber aktivieren und dergleichen lassen sich dann fein anschließend unabhängig von den 110 GP machen. Überhaupt kann man sich drauf beschränken, 20 Zauber zu aktivieren, Schwerter auf 14 zu setzen und zu spezialisieren und den Rest später für je 3 AP kaufen. Wenn das alles nicht reicht, wozu gibt es Zweitprofessionen, Veteranen und dergleichen.
Nun gut, sagt jetzt jeder, den Elfenkrieger frisch erschaffen mit AT: 17, PA: 17, 1 W+6 und 3-4 Aktionen pro KR (dank herausragenden Eigenschaften, Schildkampf, Aufmerksamkeit, BHK2, gepushtem Schwerttalent+Spezialisierung), der Unfähigkeit für Gesellschaft hat (aber wer braucht das mit Bannbaladin 12), der auch keine Rüstung hat - dafür Armatrutz - DEN kennt jeder Meister und verbietet ihn.
Aber die Figuren meine ich gar nicht. Auch unabhängig vom Powergaming haben Spieler die - aus meiner Sicht - nervige Tendenz, Helden immer völlig zu überzüchten.
Meist liegt das Problem gar nicht in Effektivität der Helden und in Vorteilen, sondern in einer völlig absurden Riesenmasse von Nachteilen. 6 schlechte Eigenschaften sind noch gar nichts, manche kommen schmerzlos auf 8 oder 10. Held mit Raumangst, Goldgier, Angst vor Elfen, Arroganz, Jähzorn, Vorurteile gegen Echsen, Alkoholsucht, Spielsucht, Rachsucht und Affinität zu Dämonen. Öhhh...aha. Fragt man nach einer rollenspielerischen Begründung, kommt der Threadtitel: Tja, er ist halt etwas durchgeknallt. Oder auch: ja, ein so arroganter jähzorniger Typ, der Angst vor allem hat, muss ja eine Sucht entwickeln. Außerdem haben Echsen seine Eltern ermordet und er betet jetzt Dämonen an, um mehr Macht für die Rache zu sammeln.
Ganz schlimm wird es dann, wenn die "Nachteile" als Vorteile eingesetzt werden - der jähzornige, rachsüchtige Typ legt sich selber kurz Proben auf und verkündet dann, dass er ja - leider leider - sich grad mal völlig daneben benehmen muss. Aber das ist ein anderes Thema.
Lustige Zitate, deren Authentizität der Autor bestätigen kann:
"Ja, er ist etwas durchgeknallt" - 50% aller Bewerber
"Wieso, das macht das Rollenspiel anspruchsvoller" - klassisches geistiges Wrack mit Angst vor allem und diversen Süchten verfallen, hat sich aber dennoch eine Menge Arroganz und Gerechtigkeitswahn bewahrt
"Immer Standardhelden? Die Gruppe ist mir zu langweilig" - der konnte ALLES, vom Kampf über Zauberei, Wissen, Gesellschaft, Heimlichkeit und Natur - das ist natürlich mal ein interessanter Held so ganz ohne handwerkliche Begabung auszukommen
"Mich interessiert eben, wie der sich so spielt" - einbeinig, miserable Eigenschaft Klugheit, diverse Süchte - ich schätz mal, ich weiss wie der sich spielt: als Meisterfigur am Stadttor hockend ganz passabel
"Ey kein Ding, ich spiel den so, dass das niemanden stört" - Arroganz kombiniert wie immer mit Jähzorn, Vorurteilen und Gerechtigkeitswahn- aber durchaus ein sympatischer Typ
"Paktierer heisst ja nicht, dass er auf der falschen Seite steht" - ach so? naja, richtig und falsch sind schwer zu unterscheiden heutzutage
"Heldensoftware ist total verbuggt" - stimmt zu 5%, zu 95% aber ist Papier geduldiger und kennt die Regeln nicht
"Ich vermisse einen freien Eingabemodus" - ja, Regeln muss man nicht mögen
"Sonst ist der Held ja nicht lebensfähig" - Jemand, der alle geplanten SF schon zu Spielbeginn haben wollte
"Find 110 GP blöd - da muss ja jeder hochadlige, erbberechtigte, rondrageweihte beidhändig kämpfende, berittene Krieger, der auch ein wenig Fernkampf und Bildung haben will, gleich mehrere Geisteskrankheiten in Kauf nehmen" - tja, viel besser, wenn alle Herzoge sich weihen lassen und trotzdem ihr Lehen übernehmen und sich auch bezüglich ihres Kampfstils etwas breiter bilden - und wenn alle Heldentrupps aus solchen Standardfiguren bestehen
-----Zum Punkt-----
Ich bin extrem dazu übergegangen, kaum noch schlechte Eigenschaften zu erlauben, weil die im Spiel entweder höllisch nerven oder aber in Vergessenheit geraten und nur GP-Spender sind. Ich sortiere mittlerweile etwa 90% aller Bewerber aus, weil ich keine Lust mehr auf Diskussionen darüber habe (was zeigt, dass ich in einer Minderheit bin).
Was habt ihr da so für Erfahrungen mit schlechten Eigenschaften, was lasst ihr zu?