36.a
Neo am Komm. Wegen einem Job. Klar und direkt, wie ich es liebe. Zum Äppelwoi Wagner schaffe ich es locker in einer Stunde. Herrn Takeshi habe ich schon in der Leitung und reserviere ein Zimmer. Als ich reinkomme, sehe ich Neo schon am Stammtisch sitzen. Da entfährt mir ein: "Becky Schätzchen, einmal das Übliche." Bembels Standardspruch. Unten kommt uns eine Putzfrau entgegen. Staubsauger und Drähte in der Tasche. Gehören zu einem Wanzenscanner. Auf Polnisch meint sie: "Dauert noch zwei Minuten, ist noch nicht trocken."
Ich sage ihr danke und schiebe ihr in der AR 50 € rüber.
Neo: "Wie viele Sprachen sprichst du denn?"
"So viele wie nötig."
Musst nicht wissen, dass Polnisch meine andere Muttersprache ist.Als wir drin waren, nahm er einen Schluck Wasser und ich einen aus dem Bembel, den mir Becky in die Hand gedrückt hatte. Dann fing er an: "Es ist etwas heikel. Du bist lange im Geschäft und kennst dich aus. Ich bin´s noch nicht so lange. Das hat so seine Gründe. Ich mache das nur nebenher. Wollte das nie mischen, aber jetzt kann ich es nicht mehr trennen."
"Du hast Ärger mit deinem Kon."
Was sollte sonst dahinter stecken."Ich werde nicht gesucht oder so." Er suchte nach Worten. "Ich fange wohl am besten ganz von Anfang an. Meine Frau... sie war auf Forschungsreise und hat irgendwelche magischen Pilze... naja, sie ist daran gestorben. Ich war in tiefer Trauer und habe mich gehen lassen. Dir ist sicher schon aufgefallen, dass ich keinen Alkohol anrühre. Das liegt daran, dass ich so damals viel Alkohol getrunken habe. Koks auch. Es kam, wie es kommen musste. S-K hat mich aus meiner "normalen" Tätigkeit rausgeschmissen und nach Konzernrecht die Vormundschaft meiner Tochter übernommen. Sie ist jetzt 16... Ich konnte mich damals nicht mehr um sie kümmern..." Er wollte noch weiter erzählen, doch dann stockte er. "Nun ja, dann habe ich mich wieder Dank meines besten Freundes gefangen und jetzt will ich meine Tochter zurückerobern. Dazu brauch ich Anwälte, die kosten Geld und dafür brauche ich Jobs." Wieder eine Pause. Ich sah ihn nur an.
Interessant. Spezialeinheit bei S-K. "Jetzt nutzt es jemand aus, dass ich demnächst auf Konzerngelände gehe. Ich soll Informationen entwenden und kann nicht nein sagen. Alleine schaffe ich das nicht. Meine Tochter will ich da raushalten. Sie würde es nicht gut heißen. Pro Kopf wären 5k drin."
Naja, ehrlich. Aber so ein Run unter Zwang ist zweischneidig. "Ich weiß nicht, ob ich der Richtige bin. S-K weiß nicht, dass ich es weiß, aber die haben mir einen Chip in den Kopf gepflanzt. Die können mich orten, wenn sie wollen. Zumindest irgendjemand dort."
Hintertür offenhalten, auch wenn mir diese Preisgabe nicht schmeckt."Heißt das, du lehnst ab?"
"Soll heißen, dass ich vielleicht nicht der Richtige bin. Hört sich eher so an, als bräuchtest du Leute für Matrix und Infiltration."
Drek, ich kann einfach keinen aus meiner Einheit im Stich lassen. "Aber ich helfe dir zumindest bei der Zusammenstellung des Teams."
"Gut. Es sollen zwei Runs sein. Für den ersten 5k, für den zweiten 15k. Wenn der Auftraggeber zufrieden ist, legt er nochmal 5k drauf. Also 25k für jeden. Der erste geht gegen das Internat, in dem meine Tochter zur Schule geht. Da werden lauter Konzernbürger und die, die es unbedingt werden wollen, in Technik und Magie unterrichtet."
"Und du als hochgestellte Konzernpersönlichkeit kommst natürlich mit einem Leibwächter." Ich klopfe leicht an den Revers meines Mantels.
"Die Sache ist die, ich habe am Mittwoch einen Termin bei meinem Anwalt. Ich habe keine Ahnung, worum es genau geht, aber die Auftraggeberin wusste es wohl schon. Fakt ist auf jeden Fall, dass ich nächsten Monat an einem Treffen in der Schule meiner Tochter teilnehme." Dann wieder Zögern. "Die Auftraggeberin nannte sich Ms. Tanaka. Sie arbeitet vermutlich für die Yakuza." Er zeigte mir auf dem Komm ein Video. Eine japanische Frau stieg aus einem Taxi, in dem sie beide fuhren und stieg auf eine Suzuki. Fünf andere Biker warteten offensichtlich an diesem Ort auf sie.
"Ich denke, wir warten erst einmal deinen Termin nächsten Mittwoch ab. Wir sollten aber auf jeden Fall Chenji, Tatze und Jay mit ins Boot holen."
"Übernimmst du bitte Chenji, ich kenne die nicht gut."
Chenji war gerade in Urlaub. Dort war es Nacht. Und heiß. Und Chenji war am Jammern. Ich legte auf, bevor es stundenlang so weiter geht. Manche Leute haben eine merkwürdige Art, ihren Urlaub zu verbringen.
36.b
Donnerstag, 31.08.79, 09.30 Uhr. Neo am Komm. Hatte gestern sein Treffen.
"He, Dekan. Treffen uns heute mit einer Dame für weitere Informationen zur geplanten Feier."
"Klar. Schicke mir einfach den Geoping." Gasthaus zur Tann direkt an der A3 bei Aschaffenburg.
"Klappt das bis 12.00 Uhr?"
"Klar."
Ich war schon gegen 11 da und beobachtete die Gegend, indem ich mit meiner Suzuki immer wieder etwas spazieren fuhr. Sie trafen alle ziemlich pünktlich ein. Jay Smiley mit einem neuen Auto. Da hat er ordentlich Geld angelegt. Ich fuhr dann zum Grüppchen mit dazu, denn wir wollten uns um zehn vor vor dem Eingang treffen.
"Wir haben reserviert. Auf Meier." Neo unterhielt sich mit dem Wirt.
"Na, ke Meier."
"Neo vielleicht?"
"Na, a kei Neo. Ä Tanaka hättn mer."
"Ja, genau, Tanaka."
Neo heißt also Meier. Hätte er selbst reserviert, wäre so ein Fehler nicht passiert. Anscheinend hat die Schmitt namens Tanaka das Treffen vorbereitet.Eine junge Asiatin wartete am Tisch. Europäisch gekleidet. Schwarzer Anzug. Nach Begrüßung und Bestellung von Essen und Getränken, hob Frau Tanaka an: "Ares hat hier in Frankfurt zu einem Freundschaftsturnier eingeladen. Neben den Ares Predators nehmen die LabRats, Fireraisers, Black Barons, Massakers, Centurios und einige andere Teil."
Ja, lauter Mannschaften aus Groß-Frankfurt sind eingeladen. Abgesehen von den Predators und den Centurios. Und es gibt eine Wild Card für eine Amateurmannschaft. Über das Spielgelände wird bisher gemutmaßt. Ich persönlich tippe auf Oberrath. Die Neo-A´s ärgern."Ich vertrete einige sportinteressierte Herren, die daran interessiert sind, wie die Spiele ausgehen."
Wettmanipulation."In diesem Sport ist es durchaus üblich, sich elektronisch verstärken zu lassen. Diese Daten sollen sie besorgen."
Ich stutzte. "Wir sprechen von einem TacNet?"
Sie nickte.
Jay fragte nach: "Welches Modell?"
"Ein Siemens Nixdorf. Neueste Generation."
"Möchten sie nur die Daten oder auch das Gerät?" Jays Gesicht war anzumerken, wer seiner Meinung nach das TacNet behalten sollte.
"Nur die Daten. Trainingsprotokolle, Taktiken, alles."
"Dann dürfen wir also das Gerät behalten?"
"Wenn das Gerät verschwindet, wäre das sehr auffällig und das wäre den Auftraggebern alles andere als recht. Wenn sie bei dieser Gelegenheit natürlich das Gerät einer anderen Mannschaft stehlen... wäre das immer noch auffällig, aber... nun ja, es wäre immer noch auffällig... genug."
Jay wird sich eines sichern wollen. Macht die Sache schwierig. Außerdem gefährdet es das Missionsziel. Er ist einfach gierig.Seine nächste Frage sprach Bände. "Und wo befindet sich das Zentralgerät?"
"Es ist nur ein kleines Gerät. Vermutlich trägt es während des Spiels der Mannschaftsführer. Die Mannschaft ist die ganze Woche bis zum Freundschaftsspiel mit der Schulmannschaft des S-K-Nachwuchses am 09.09. vor Ort."
Schulmannschaft? Das ist neu."Glücklicherweise befindet sich an diesem Tisch jemand, der zu diesem Spiel eingeladen wurde. Auf dem Schwarzmarkt gibt es im Übrigen noch Fankarten. Sie sind nicht sonderlich beliebt, da sie SIN-gebunden sind." Sie sah in die Runde.
Einbruch. S-K hat einen Chip in meinem Kopf. Das Lucius-Internat befindet sich größtenteils auf exterritorialem Konzerngelände. S-K wird da nicht lang fackeln. Ich sehe da einfach keinen Part für mich in irgendeinem Plan. Ich sah Neo lange an und schüttelte ganz langsam den Kopf. Er musste mich missverstanden haben.
"Das ist etwas wenig an Information. Sie können sicher noch etwas nachlegen, oder?"
"Nun, ich kann schauen, ob ich noch etwas ausgraben lassen kann."
"Wie viel ist drin?" Jay. Immer direkt.
"Ein bis zum Rand gefüllter Standardstick. Mit Potential zu einem Folgeauftrag. Da würde ich auf einen gefüllten silbernen Stick aufrunden. Und wenn sie mich vollständig zufrieden stellen, mache ich aus dem oder ein und."
"Das passt." Und zu Neo: "Kennst du die Schmitt?"
"Flüchtig."
"Das heißt, wir übernehmen den Auftrag?"
"Ich muss. Ich habe keine Wahl."
Neo gezwungen. S-K in meinem Kopf. Jay geldgeil wie nur was. Ich bin raus. "Eventuell müssten wir noch Spieler mit dazunehmen oder austauschen."
"Das ist kein Problem. Das Budget ist noch nicht überschritten. Nur... die neuen Spieler sollten mir vorgestellt werden." Und beim Aufstehen. "Wenn das nun alles wäre, meine Herren."
Es war alles.
36.c
Die Schmitt bzw. Tanaka ging. Die Rechnung war beglichen.
"Dann sind wir uns so weit einig?"
Ich hob die Hand. "Kann ich dich draußen sprechen?"
Neo sah etwas verwundert drein, aber wir gingen nach draußen auf den Parkplatz, liefen langsam Richtung Lärmschutzwand zur Autobahn hin.
"Ich glaube, das ist nicht mein Run."
Neo atmete tief durch. "Warum?"
"Zuerst habe ich einen Chip in meinem Kopf. Der ist von irgendeinem S-K-Typen. Dann ist da Jay. Der will Geld um jeden Preis machen. Das kann den Run in Gefahr bringen. Dann weißt du selbst, dass es kein guter Start ist, wenn einer gezwungen ist, den Run durchzuziehen. Und zum Schluss sehe ich einfach keine Rolle für mich in diesem Game. Aber ich will dich nicht hängen lassen. Ein gemeinsamer Bekannter hätte jemanden an der Hand, habe ich gehört. Ich kenne ihn nicht, aber er bietet sich als magisches Face und Manipulator an."
Stille.
"Welcher gemeinsame Freund?"
"Der, bei dem wir erst vor Kurzem im Keller waren."
"Weißt du, Dekan, ich hab mich nicht ohne Grund an dich als erstes gewandt. Du bist schon lange dabei und, viel wichtiger, ich vertraue dir."
Mann, bist du ein Dummkopf. Vertrauen wird immer verraten. In meiner Erinnerung blitzt ein verblasstes Bild von Polen-Paule auf, erster Schattenkontakt eines Trolls namens Uff. Polen-Paule wollte Uff mit der Vory als Mittelsmann Uff an S-K verkaufen. Dreks Troll! Neos Worte unterbrachen die Erinnerung. "Den anderen kenne ich nicht. Ich baue auf dich. Schau mal, ich habe ewig lange nachgedacht, wie wir das Durchziehen können, ohne auf Kon-Gelände zu müssen und ich bin grob auf drei Möglichkeiten gekommen. Also erstens. Wir fangen sie ab, wenn sie mit dem Bus anreisen. Zweitens. Wir schlagen während des Spiels zu. Da musst du nicht mit rein. Du kannst auch von Draußen mit deinen Drohnen arbeiten. Drittens. Wir überfallen den Bus bei der Abreise. Wäre dasselbe wie Plan eins, nur dass die Leute dann etwas geschlaucht, vielleicht sogar verletzt sind."
Als ich ihn nur nachdenklich ansah, fuhr er fort: "Außerdem kannst du dann ein Auge auf Jay haben."
"Das wird schwer. Ich kann ihn in der Matrix nicht beobachten, er mich aber jederzeit."
"Und deinen Chip im Kopf wird doch nicht jemand die ganze Zeit im Auge haben, oder?!"
"Man kann es auch nicht ausschließen."
Aber so ganz aus der Luft gegriffen ist Neos Argument auch nicht. "Auf der anderen Seite hat mich damals jemand von S-K rekrutiert, um einen Run gegen S-K zu laufen..."
"Also so ein internes Ding... "
"Pass auf. Wenn wir nicht rein müssen, überlege ich es mir. Ich fürchte aber, wenn ich ja sage, denkst du über Option zwei gar nicht mehr nach."
"Aber bei eins und drei wärst du dabei, oder?"
Wieder Stille.
"Wenn du ernsthaft über alle drei Optionen nachdenkst, dann bin ich bei eins und drei dabei. Ich kann meine Einheit einfach nicht in Stich lassen."
Zufrieden war anders, aber Neo nickte. In seinem Gesicht war sogar so etwas wie... Verständnis.
Ich klopfte auf meinen Schädel: "Es ist nicht meine Tochter, die draufgeht, wenn wegen meinem Kopf was schief geht."
Er schluckte. Ich zuckte die Schultern. "Dein Run, deine Entscheidung."
Als wir zurück zum Gasthaus gingen, kamen vier Reiter mit komischen Mützen. Eine Frau und drei Kinder. Sie banden ihre Pferde an und geben ihnen irgendwas in einem Eimer. Wir gingen rein zu den anderen.
"Seid ihr fertig?" Jay und Tatze schauten uns eher etwas gelangweilt an.
Waren wir. Neo erörterte die drei Pläne. "Aber wenn wir leise reingehen, dann werden wir ausschließlich die Daten mitnehmen, nicht das Gerät."
"Dann machen wir es laut." Jay. Klar. Es folgte eine Diskussion, ob Tanaka ausgeschlossen hat, dass wir ein Gerät stehlen oder es nur eine dringende Bitte war. Da niemandem von uns, inklusive mir, ein Verbot in Erinnerung war, einigten wir uns auf das zweitere. "Aber natürlich nehmen wir nur das Zweitgerät."
"Hämm... wir befinden uns in einer Gaststätte. Vielleicht unterhalten wir uns an einem weniger öffentlichen Ort weiter?"
Mein Einwand wurde ernst genommen und nach einer kleinen Diskussion folgten wir einem Waldweg nach Süden. Sehr gewunden. Der Verkehrslärm wurde sofort weniger. Ich ließ Drohnen zurück, um sicher zu gehen, dass wir nicht verfolgt werden. Tatze sah sich astral um.
"Also bei Möglichkeit zwei werden wir nur die Daten ziehen, weil ich eine persönliche Einladung habe. Zum Spiel im Lucius-Internat. Und es würde... Nun ja, es gibt Gründe."
Sicher, du würdest deine Tochter in Gefahr bringen."Was ist denn das für ein Gerät und warum müssen wir das unbedingt mitnehmen?" Tatze sah Jay fragend an. Jay erklärte die Möglichkeiten eines TacNets der zweiten Generation. Nach Neos Gesichtszügen ging ihm erst jetzt bei der Erklärung ein Lichtchen auf. "Ich will das TacNet für uns als Gruppe."
Ist durchaus ein Argument. Das würde vieles vereinfachen. Hätte ich Jay gar nicht zugetraut, dass er die Gruppe über seinen geliebten Westwind stellt.Plötzlich Bodennebel überall. Unnatürlich schnell. Komische Geräusche, Vogelgesang mitten am Tag, Rehe schauen uns ohne Scheu an. Von Verkehr nichts mehr zu hören.
"Drek, wir sind mitten in einem Sperrgebiet wegen einem Geist oder so." Jay. "Zumindest sagt das die AR."
Glücklicherweise verlässt mich mein Richtungssinn auch im dichtesten Nebel nicht und so führte ich uns auf dem exakt gleichen Weg zurück, den wir gekommen waren. Wir fanden ein zugewuchertes Schild. Aus Holz. Deshalb war es wohl nicht weiter aufgefallen. Ich befreite es von Ranken. Darauf stand, dass der Brunnen hier im Klingengraben, südlich von Hösbach, seit 2024 Wohnstatt eines Geistes sei.
Tatze schaute noch interessiert in den Nebel. "Ich glaube, der will Gesellschaft."
Neo: "Was meinst du?"
"Den Geist da.""
Neo schaute nun auch astral. Tatze machte Anstalten, wieder in den Nebel zu verschwinden. Ich schaute ihn an. "Willst du das wirklich kurz vor einem Run riskieren." Er reagierte nicht einmal groß. Ich ludt panzerbrechende Mun in meine Walter Secura und zog mein Kampfmesser mit Silberlegierung. "Zur Not kenne ich einen Magier, der dich ersetzen kann." Tatze ließ sich einfach nicht aufhalten und war sogleich im Nebel verschwunden.
Während Tatze nun weg war, kamen wir ins Gespräch über Stadtkriegs-Mannschaften. Es gipfelte in der unverschämten Aussage Jays: "Aber jeder ist Fan von den Centurios, die gewinnen immer!"
"Von wegen, die haben gar keine Fans! Die haben nur Kunden! Keine Sau mag die! Nicht mal die selber!"
Dann sogar lieber die LabRats, die dreks Verräter! Ich krönte das ganze durch den Schlachtruf "Massaker! Massaker!"
"Das ist ja nicht so mein Sport. Also ich steh eher auf Darkman."
Ich werd verrückt! "Mann, der hatte erst sein Comeback gegen Hitman!"
"Ja, Mann, und ich konnte nicht dabei sein."
"Ich war da, Mann, war voll grün!" Aber bevor ich den gnadenlosen Piledriver, der Hitman ins Nirvana geschickt hatte mit jemanden nachstellen konnte, war Tatze zurück. Nebel gab es auch keinen mehr.
"Der wollte nur spielen."
Wir schüttelten den Kopf und gingen zurück auf den Parkplatz, setzten uns auf eine Bank am Waldrand. Jay meinte, er hätte hier auch wesentlich bessere Verbindung und setzt sich erstmal ins Auto, um Nachforschungen in der Matrix anzustellen. Ich versuchte, Doc in Essen zu erreichen. Vielleicht konnte ich im Small-Talk ein paar Infos rausziehen. Aber da war nur ein Anrufbeantworter. "Wenn es eilig oder dringend ist, hinterlassen sie eine Nachricht."
"Hi Doc, weder eilig noch dringend. Falls du mal wieder Zeit hast, ich freue mich über einen Anruf."
Nichts.
"Vielleicht sollten wir Omega anrufen. Den könnten wir bei Plan eins und drei auch gut brauchen." Neo schaute in die Runde. "Wer kennt ihn am besten."
"Tatze." Mein Kopf nickte in seine Richtung. Nach einem Anruf war Omega auf dem Weg zu uns. Genauso wie einige Drohnen von Aldi-Burger nach meiner Bestellung in der AR. 3 Minuten. Gab einen auf der anderen Seite der Autobahn.
Omega traf ein und nach einer Begrüßung gesellte sich auch schon Jay mit dazu. Seinem Gesichtsausdruck nach hatte er einiges ausgegraben.
"Also", er zeigte uns die Dateien mit einem kleinen Holo, " Es gibt noch keine Arena, die muss erst hier im NO des S-K-Gebiets an der A45 gebaut werden. Dafür sind viele LKW unterwegs. Die Anreise der Mannschaft und des Equipments erfolgt mit Mannschaftsbus und eventuell einem Begleitfahrzeug. Einige Spieler reisen auch privat an oder wohnen hier in der Gegend. Für die Mannschaft ist ein Hotel in Bad Nauheim gebucht. Da das quasi die dritte Mannschaft mit einem oder zwei Star-Spielern ist, auch nichts wirklich Teures. Am 08.09., also einem Tag vor dem Spiel, gibt es zwischen 15 und 19 Uhr ein Meet n Greet im S-K-Puma-Outlet auf exterritorialem Gebiet. Der genaue Tag der Anreise ist noch unbekannt."
Nach einer kurzen Diskussion, bei der alle der Meinung waren, lieber mit mir als dem unbekannten Magier zu arbeiten, sah ich mich schon mit Schürzchen durch die Gänge des Hotels schweben und Zimmer säubern. Zumindest war das mangels besserer Faces der Plan. Die Reinehalte-Firma finden und mich einschleusen.
Nachricht von Tanaka
Paket erreicht das Gelände per Bahn (DB) am 05.09.2079 um 05.38 Uhr aus Richtung Hessen-Nassau. Übergabe an DSKL (Deutsche Stadtkriegs-Liga) am 08.09.2079 zwischen 16 und 17 Uhr. Central Industries CI-133A2 der DSKL-Standort wird markiert.
"CI133A2, eine rollende Kommandozentrale mit einem oder mehreren Anhängern. Arrestzellen, Nasszellen, Schlafgelegenheiten, Drohnenhalterungen, Drohnenwerkstatt, alternativer Ausstiege in der Dachluke, Rigger-Kokon", die anderen sahen mich etwas verblüfft an, als ich das Fahrzeug beschrieb, "Sie nutzen das vermutlich für die Übertragung des Spiels.". Ich zuckte mit den Achseln. "Militärfahrzeug. Wird zur Überwachung einer Front aus dem Rückraum verwendet."
36.d
Jay schleppte uns noch tonnenweise Daten an. Die fünf S-K-Wagons waren die einzigen eines großen Konzerns im ganzen Zug. Die anderen vierzig Wagen waren Besitz der DB. Der Zug fährt von Neu-Essen über Siegen nach Wetzlar, Gießen bis Nidda. Da werden die fünf Wagen abgekoppelt und fahren auf das exterritoriale S-K-Gebiet im Norden Groß-Frankfurts. In drei der S-K-Wägen war schweres Gerät. In einem Ausrüstung, in einem die Sicherheit. Jay war Feuer und Flamme. Wenn es nach ihm ging, dann würden wir die ganzen Waggons mitnehmen. Die Frage, ob die Daten dort überhaupt auf dem Gerät wären, schien ihn weniger zu interessieren.
"Es hieß, wir sollen die Daten besorgen, die auf dem Gerät sind. Wenn keine drauf sind, ist das doch nicht unser Problem!", so seine Argumentation.
Sicher, kann man so sehen. Dann hat man halt bald keine Jobs mehr. "Der Auftrag sind die Daten. Wir sollten durchdenken, wann der Erfolg am gesichertsten ist."
"Klar, aber wenn die nicht drauf sind..., dann hätten wir auf jeden Fall n Haufen Zaster." Er zuckte die Achseln.
"Du lässt dich von deiner Gier leiten, das versaut am Ende noch den Run."
Dem Tonfall nach hatte ich Jay anscheinend beleidigt. "Wenn du mir nicht traust, dann macht den Run doch ohne mich!"
"Das wäre durchaus eine Option." Es war wichtig, den Ton ruhig und sachlich zu halten. Aber erpressen durfte man sich auc nicht lassen. Entweder spielt Jay im Team oder gar nicht. Ich ging nicht weiter darauf ein, sondern ging die Möglichkeiten weiter durch. "Also, es geht um die Daten über Aufstellung, Training etc., die Tanaka möchte." Jay hob an. Ich beschwichtigte. "Die sich nach ihren Angaben auf dem Gerät befinden sollen. Wir wissen allerdings nicht, ob Daten und Gerät getrennt befördert werden. Wir wissen nur sicher, dass sie während der Spiele auf dem Gerät sind."
Wissen wir das wirklich? Egal. Da hat Jay Recht. Wenn es während des Spiels auch nicht so ist, dann hat Tanaka auf Sand gebaut. "So gesehen, wäre die Übergabe..."
Nein, ich Trottel! "...nein... als Centurios wäre ich viel zu vorsichtig, bevor eine Quelle des DSKL meine Daten weiter verkauft. Vielleicht ist es sogar eine ausgesprochen schlechte Idee bei Übergabe zuzuschlagen."
"Also, äh, die Daten werden doch zum Training und so gebraucht..." Tatze, tastete sich langsam an die Frage ran, die er noch nicht ganz hatte. "...also muss doch der Trainer die Daten haben, wenn er mit seinem Rudel... äh, der Mannschaft spricht." Er sah in die Runde. Nicken. "Also vielleicht doch im Hotel?"
"Ja, Hotel sollten wir im Auge behalten. Aber auch den Zug. Jay hat da einen Punkt. Wir schlagen früh und unerwartet zu."
Dann könnte ich endlich mal wieder die richtige Wumme auspacken. "Wir sprengen die Gleise, wenn der Sicherheitszug drüber ist, ich halte die Mannschaft beschäftigt und ihr durchsucht den Waggon." Noch während ich redete merkte ich, zu welchen Problemen das führte. "Dann wäre allerdings sofort Alarm da, wir hätten nicht viel Zeit und müssten das Gerät in kürzester Zeit finden, natürlich nachdem wir ihn geknackt haben..."
"Knacken kann ich. Und den Alarm kann man auch ausschalten."
"Allerdings wird der Waggon der Sicherheit über zahlreiche Sicherungen verfügen..."
"Ja, ich habe schlechte Nachrichten." Neo sah in die Runde. "Der Sicherheitswagen ist eine rollende Festung. Schießscharten, diverse Ausgänge, Kameras mit IR und Restlicht standardmäßig. Außerdem Ultraschall, die aber nur seitlich. Dazu Atmosphärenscanner in erster Linie für chemische Kampfstoffe und Radioaktivität."
Das war hart.
Stille.
"Jay nahm das Wort auf. "Und was, wenn wir den Sicherheitswaggon einfach während des Fahrens vom Zug abkoppeln?"
Wir fanden heraus, dass es diverse Sicherheitssysteme gab, die Unfälle während der Fahrt verhindern sollten. Der Plan war gut, aber nicht einfach umzusetzen. Jay fand im Netz diverse Zugliebhaber. Auf unsere genaue Bedürfnisse passten zwei Fünde in irgendwelchen Eisenbahnforen. Einer im Taunus sammelte Katastrophentrids von Zugunfällen. Um den kümmern sich Omega und Tatze. Neo und Jay wollten sich in das Hotel einmieten, in dem die Mannschaft unterkommen wird und mir fiel ein gewisser Tramper namens Paul Gersinger zu. Aus dem Schwarzwald.
36.e
Also rufe ich diesen Paul Gersinger mal an.
"Jap. Wer s n da?"
"Hallo, ich habe Ihre Nummer aus einem Forum für Zugliebhaber."
"Züge, klar, voll grün. schöne Dinger. Worauf stehstn so?"
"Auf diese wunderbaren mechanischen Gestalten."
"Jaja, Züge sinn so mechanisch und so."
"...und natürlich alles mit Bewaffnung."
"Ja, ja, kenn ich. Ja, weiß wo einer steht. Aber hammse heut nimmer."
"Was haben sie denn dann?"
"Ja, so Viehfänger un Schneefräsn. Aba ich steh so auf die schwebenden Dinger."
"Schwebend?"
"Ja, so Transrapid un so."
"Äh, und der coole Zug mit der Bewaffnung, wo kann man den sehn?"
Langsam übergleiten in seinen Slang."Ja, im Südn von Frankfurt, da isn Museeum. Da steht einer ausm Eurokrieg. Frankfurt, voll grün, kennste Loreley-Strecke, kennste? Voll herrlich. Voll grün."
"Voll grün, was passiertn eichentlich, wenn da son Wachong abreißt?"
"Is grün, weil dann alles bremst, wo kei Druck mehr is."
"Boah, dann bremst doch dea ganse Zuch..."
"Nene, nich, wenn man den ordntlich abkopplt. Lernste erste Woche Ausbildung. Aba das is voll geheim und so. Ey, wie heißtn du eichentlich. Ich bin deä Schnotze. Hast du n Trampernamn?"
"Trampernamen?"
"Ja, genau, ich bin Schnotze und du?"
"Äh, ..."
"Egal, wir verpassn dir scho einen."
"Also, so Trampen hört sich gut an. Wie machtn mer das?"
"Naja, ich nehm immer Güterzüche. Brauchst nur n bissl Geduld. Unn s Ziel muss dia egal sei."
"Höat sich gut an. Wo könn mer uns treffn? Heute?"
"Langsam, langsam, ich bin grad in der Tschechei un so in ein, zwei Tachn in Frankfuat, dann noch Duschn unn ma Ausschlafn... Sachn mer 3.?"
"Äh, klah, unn wo?"
"Kennste Pension 2 Raben in Mainz, kennste? Kommste einfach am 3. zum Frühstücksbuffet. Musst dia aba was mitbringn. Weil Buffet nua füa Gäste unn so." Er schickte einen Geoping.
"Und ich erkenn dich, weil du bist deä Troll..."
"...ne, bin kei Troll..."
"...du bist doch ausm Schwazzwald..."
"...aba n Haua unn stolz drauf."
"Ey, Chummer, voll grün..."
"...unn bring noch Essn füa unnerwechs mit."
"Klar, kannste mia den Geoping nochma schickn. Habn aus Versehn gelöscht."
Nochmal exakt der gleiche. Sehr gut. Wer weiß, wie viel der so gesoffen hat. "Ey, grün, wir sehn unns da!"
"Jou, bis dann. Unn dann kriegste n Trampernahm!"
Ich schüttelte den Kopf. Noch n paar Tage hin. Omega und Tatze hatten wohl schon was klar gemacht mit ihrem Zugfetischisten. Sie machten sich schon ab. Nach dem, was sie mir so zeigten in rechtsfreies Gebiet im Taunus. Wir machten die endgültige Besprechung für den 4.8. aus. Ein Tag sollte reichen für Schnotze. Inzwischen werden sich Neo und Jay um das Hotel kümmern.
36.f
(Omega)Ich kaufe mir gebrauchte Klamotten und ziehe mir Einmalklams aus einem Automaten. Dazu noch Wodka und Schwarzwälder Kirschwasser. Genug Energieriegel und Klopapier. Drunter nur meine Panzerweste. Fertig ist der Tramper-Look. Mit der Einkaufstasche in der Hand geht es also los. Erst nach Mainz in ein Parkhaus in der Nähe der Pension Zwei Raben. Ich laufe auf dem Weg ins Industriegebiet, in dem die Pension offensichtlich liegt, an einer S-Bahn-Haltestelle vorbei. Ein ausgeplünderter Automat. Hinten links unten noch ein Riegel. Mit meinem langen Arm komme ich hin. "Mit Vrucht" steht ganz groß auf der Verpackung. Vermutlich für die Extraportion Fitamine. Klar. So ka. Vor mir blinkt auf einem großen Beton-Komplex das Logo von "Heidelberger Zement". Kommt mir irgendwie bekannt vor. Geruch von brackigem Flusswasser steigt mir in die Nase...
Die Pension mitten im Industriegebiet hat fünf Stockwerke. Die abgeranzte Lobby war übersichtlich. Neben der Rezeption schon ein großes Schild "Frühstücksbüffet" mit Pfeil. Die nicht besonders hübsche, aber herausgeputzte Rezeptionistin schaut auf, sagt aber nichts. Selbst die Umgangsform ist abgeranzt. Ich zahlte die 25 Ocken für das Büffet und ging hinein. Neben zehn Norms waren hier noch ein Elf, drei Zwerge, fünf Orks und ein Troll. Drek. Im Spiegel. Hätte mich fast nicht wiedererkannt und dennoch... eigentlich wollte ich mich noch schminken... Was soll´s, muss jetzt. Ich hole mir erstmal ein Tablett und lade es mal richtig voll. Dann spähe ich nach einem Sitzplatz, aber dabei mustere ich die Orks. Einer in Panzerjacke mit Fake-Stacheln dran betrachtet mich. Das muss er wohl sein.
"Schnotze?"
"Ah,..., hallo." Er lächelte mich an.
"Hey, Chummer, ich bin voll aufgeregt, wann geht´s los?"
"Jetzt lass uns erstmal frühstücken."
"Und, haste schon n Nahm?"
Immer schön mit Fragen nerven und ihn zum zentralen Thema bringen. Nicht dass er noch auf die Idee kommt, nach meinem Privatleben zu fragen."Immer langfahm", mampfte er, "daf mafn wer naf dem Aufflug."
"Hab auch alles dabei." Ich klopfe stolz auf meine Tasche.
Er schaute die Einkaufstasche an und schluckte. "Kannste mit dem Ding inner Hand überhaupt klettern?"
Ich zuckte die Achseln.
"Naja", er kramte in seinem Rucksack, "ich hab immer Panzertape dabei. Reichlich." Er grinste mich an. "Mindestens drei Rollen. Gib ma die Tasche."
Ich leerte den Inhalt meiner Einkaufstasche auf den Boden und gab sie ihm. Er schüttelte den Kopf. Mit erstaunlichem Geschick hatte er mir aus der Einkaufstüte einen provisorischen Rucksack gemacht. Schulterriemen, Bauchgurt, verstärkter Boden.
Nicht übel. "Na, dann kann´s ja losgehn. Gleich hier umme Ecke."
Wir gingen also "umme Ecke" zu einem Maschendrahtzaun, hinter dem weitläufiges abschüssiges Gelände lag. Schnotze grinste mich an, hob einen Pfahl hoch und bog ihn nach hinten. Ein Eingang, den er offensichtlich schon öfter benutzt hatte. Dahinter sah man im Tal mehrere Gleisstränge, Weichen und Stellanlagen. Und Kamerabäume.
"Da untn is ja alles überwacht..." Ich sah Schnotze enttäuscht an.
Er lächelte nur und ging mit mir über einen kleinen Hügel. Dort war ein altes Abstellgleis mit Prellbock. Darauf ein rostiger alter Wagen. "Die Gleise gehn alle ins Zementwerk. Seit es mal ...Probleme bei den Weichen gegebn hat, sinn hier überall Kameras, aber das olle Abstellgleis hier is unwichtich. Hier könn wer sogar nackt tanzn, interessiert keinen."
Ich begann, mich auszuziehen.
"Nein, nein." Er verdrehte die Augen. "Füa den Waggon hier interessiert sich keiner. Also, wenn du mal n Platz zum Pennen brauchst... Aber zum Pissen und Kacken gehste an den Zaun, klar?!"
Am Wagon fehlte eine Tür, so dass man noch Überreste von Übernachtungsgästen sah. Schnotze machte vor, wie man in einen Güterzug eindringt. Hochspringen an die Führungsleiste der Türe, Füße absetzen, mit dem Brecheisen das Schloss öffnen ("Manchmal sind die Schlösser auch elektronisch. Das ist Kacke."). Tür öffnen, rein und die Türe schließen aber mit Karabinern und Spanngurten dafür sorgen, dass die Türe nicht ins Schloss fällt. "Eigentlich ganz einfach. Manchmal hast du aber auch nicht nur eine Tür, sondern eine mit doppelten Flügeln."
Ich machte die Bewegungen nach, um schon einmal den Ablauf an der Türe drin zu haben.
"So, un nu wirds ernst."
Ich deutete runter auf die Züge. Natürlich schüttelte er den Kopf. "Nene, da müssn wer n bissl laufn."
Wir latschen also ein paar Kilometer nach Süden, immer ein paar hundert Meter von den Gleisen weg. Zwei Hobos auf Tour. Was soll da schon passieren? Dann kamen wir an eine Brücke, die über die Bahn führte. Schnotze peilte einen Trampelpfad an, der neben der Brücke den Hang steil hinunter führte.
"Pass auf, dass de nich auf ne Spritze trittst. Brauchst ma noch festere Schuh."
Die Brücke unten ist vollgesprüht mit Grafitties. Also nicht diesen Kunst-Grafitties wie in manchen wohlhabenden Vorstädten. Das waren nicht mal Gang-Taggs. Das sah eher so aus, als wäre es vollgesprüht, damit halt vollgesprüht ist. Aber vielleicht macht das für andere Leute Sinn...
"Wir gehn da nicht drunter. Das wäre voll unhöflich", flüsterte Schnotze, "da schläft auch noch einer."
Tatsächlich. Zwischen den ganzen Kartons und Drahtschnüre mit Decken dran sah man ein paar Füße. Als ein Transrapid unter der Brücke durchdonnerte. Schnotze sprach weiter, schien immer noch zu flüstern, nur verstand ich ihn nicht. Wollte ihn nicht verstehen. Ich hätte das Zuggeräusch einfach ausfiltern können, aber ich blieb lieber der dumme unwissende Troll-Depp. Langsam ließ der Lärm nach.
Schnotze deutete dem Zug hinterher: "...auf sowas warten wir. Der kommt in zehn Minuten."
"Waaaas? Auf so einen aufspringen...?"
"Nein, nein, aber für den 12.58 müssen die Güterzüge hier langsamer machen und heute geht einer über die Loreley." Er grinste mich an. "Voll schöne Strecke. Du solltest dich aufwärmen, sonst zerrste dir am Ende was." Er begann, sich zu dehnen. Ein paar Übungen später schaute er auf seine imaginäre Uhr. "So, jetzt gehts gleich los. Ist dein Rucksack auch fest?"
Nach der Überprüfung wies er mich an eine Stelle neben dem Brückenbogen. "Wir müssen ja nicht gleich gesehen werden. Du rennst einfach los, wenn ichs auch mach. Beim zehnten Wagen. Dann kommer in den fuffzehntn."
Es rollten in gemächlichem Tempo zwei E-Loks vorbei. Beim zehnten Wagen rannten wir los. Zumindest das, was Schnotze rennen nannte. Für mich war eher die Herausforderung, meine Geschwindigkeit an ihn anzupassen und seinen Weg nicht zu kreuzen. Schnotze sprang auf und hing sich mit einem Brecheisen in die Führungsschiene oben. Für mich waren die leicht greifbar. Doppelflügeltür. Schnotze hangelt sich in die Mitte, knackt mit einem Bolzenschneider das Vorhängeschloss, hebelt mit dem Brecheisen die Türe auf, hängt das Schloss offen wieder ein, schiebt die Flügel zur Seite und hält sie mir auf.
"Komm rein." Er hält mir seine Hand hin.
Kümmert sich um seine Chummers. Und das obwohl ich ihm einen wirklich dummen Deppen vorspiele mit extrem dummen Nachfragen und wörtlich nehmen des Gesagten. Und er nimmt alles gelassen hin. Wäre ein guter Offizier.Drin war hinter der Türe etwas Platz bis zur gegenüberliegenden Türe. Auf der einen Seite geschlossene Holzkisten auf Paletten, auf der anderen Seite Paletten in Plastikfolie. Anscheinend zusammengewürfeltes Stückgut. Alles vertäut mit Spanngurten und Karabinern. So ein Zufall.
"Hey, Jackpot", ich deutete auf die Paletten, "da könn mer aba einiches mitnehm."
"Ne, pass da ma lieber auf. In den Kistn sind Lichtsensorn und die Plastikpaletten... naja, ich sach ma so. Wennde wirklich dringend ma was brauchst... n Kumpl hat mia erzählt, dass die so 3 Prozent Verlust einkalkuliern, danach wirds kritisch. Wenn wir nich deren Zeuch anrührn, rührn die uns auch nich an. Abä des geht nur bei Transrapid. Hieß früher ma Deutsche Bahn, Des rote Rechteck von heute nur mit DB statt TR. Naja...egal... also bei TR kannste des bringen, was wir machen, also trampen, die andern Betreiber sinn da viel empfindlicher." Anscheinend hatte er meinen Blick im Wagon und durch den Spalt an der Tür nach oben gesehen. "Und nochn Tipp: Was vieln Anfängern des Lebn kostet. Geh bloß nich nach obn! Da is ne elektrische Oberleitung, die grillt sogar jemandn wie dich."
Ich ließ mir etwas Zeit bis ich wieder zum Punkt kam. Auf jeden Fall sprudelten die Infos nur so aus der Quelle. Erst einmal holte ich den Schnaps und jede Menge Riegel aus meinem ´Rucksack´ und zwischen den Bahnhöfen genossen wir den Ausblick auf die Loreley. Erst danach schnitt ich das Thema Abkoppeln nochmal an.
"Das zeig ich dir in Koblenz."
Gut. Hauptsache, du zeigst es mir noch."Jetzt müssen wir langsam packen. Raus geht leichter als rein. Is aber dreimal so gefährlich." Er grinste dabei und zog einige dicke Jogginghosen aus seinem Rucksack, um sie unter die Lederhose zu ziehen. "Polsterung, weißte, aber son harter Troll wie du hälts auch ohne aus..."
"Joa, runter kommse alle", äffte ich meinen Fallschirmeinweiser nach. Inklusive süffisantem Ton und Grinsen.
Schnotze lachte. "Des stimmt." Der Zug verlangsamte sein Tempo. "So. Hier müssn wer ma zumachn." Er zog die Flügel zusammen und zählte "Ein Elefant, zwei Elefant... so, willkommen in Westrhein-Luxemburg! Da vorne ist ne weiche Stelle. Brombeeren. N bissl stachelig aber zumindest nich giftig. Pass auf die Pfosten auf."
Er öffnete die Flügel, stellte sich an die gegenüberliegende Tür und schien sich auf etwas zu konzentrieren. Klar, den Takt der Pfosten. Er rannte los und sprang. Ich tat es ihm nach.
Nur acht, neun Kilometer weiter war eine Endstation S-Bahn von Koblenz. Da wir über die Gleise kamen, waren wir schnell an ein paar abgestellten Wagen. "Also abkoppen. Da drehste hier auf...."
Drek! Das ist ein Spezialschlüssel. "Wo bekomm ich denn son Schlüssl her?"
"Kriegste in der Ausbildung." Schnotze grinste, als er die Enttäuschung in meinem Gesicht sah. "Wenn du uns die erste Klasse klr machst, dann kriegste einen. Meine Alte hat den vor der Wäsche immer aus der Hose und danach nie reingetan. Hab zwei dutzend davon."
Wie grün ist das denn?! Manchmal darf man echt Glück haben. Also die S-Bahn is etwas komplizierter, weil dann musste hier die Kabelstränge noch trennen, Licht, Sensoren, Kameras. Aber Hydraulik is klar. Dann is da noch die Druckluft. Die kommt dann raus und der Zug bremst..."
Ich zeigte mich enttäuscht. "Aba du hast doch gesacht, das geht auch so dass der Zuch weiterfährt..."
"Da musst du den Druckkreis unterbrechen. Aber wer will das schon."
"Ah."
Druckkreis unterbrechen. Ein Punkt mehr auf der Liste für Jay."Also..." Er deutete auf die S-Bahn. "Lass uns mal mit Klasse reisen."
Es war abends. Wir stiegen hinten ein und gingen vor zur ersten Klasse. Darin zwei Punks, schlitzten gerade paar Polster auf. "Ey, Alter, willste Schtunk?!"
"Verpisst euch, ihr Loser." Ich sah die beiden streng an, ich bettelte quasi darum, dass sie angriffen. Die beiden Normies verpissten sich.
"Hauerpower!" hörte ich von Schnotze und er gab mir einen seiner Schlüssel.
"Und? Haste jetz nen Nahm für mich? Wie wärs mit Erste Klasse?"
"Hm... aber mit einem großen S davor. Is ja ne S-Bahn hier."
"Serste Klasse? Wie kacke klingt das denn?!"
"Nene, SssssssErste Klasse. Mit zischendem S und großem E." Ich sah ihn nur sprachlos an. "Na, Abkürzung SEK?"
Ich lachte und klatschte auf meinen Oberschenkel.
Zum Abschluss plante Schnotze noch meine Rückfahrt. Dabei erfohr ich, dass es zwei Hauptrouten den Rhein entlang gab. Unser Zug wird sich auf einer Nebenroute befinden.
Montag, 04.09.79 kam ich um 2.30 Uhr in meinem Haus in Obertshausen an. Ich schicke Jay noch ein paar Nachfragen. Wach war er nicht. Zumindest antwortete er nicht. Schlafregulator einschalten.
Aus.
Montag, 04.09.2079, 05.46. Ich bin hellwach. Duschen. Dabei läuft schon die Kaffeemaschine. Um 6.00 Uhr Nachricht an alle. "Ruft mich an."
Um Nullsechshundertdreißig hatte ich Neo an der Strippe (sagt man immernoch so) und erfuhr, dass er gar nicht mit im Hotel war. Das hat Jay alleine erledigt.
Um Nullsiebenhundertdreißig Uhr Tatze. Er war mit Omega zusammen im Hintertaunus bei einem Vampir, der mit Begeisterung Modelleisenbahnen sprengt und Trideos mit Zugunglücken sammelt. Er sprengt die Modelleisenbahnen "maßstabsgetreu". Also Maßstab 1:1 kann ich auch jederzeit zeigen...
Um Nullneunhundert Jay mit der Bemerkung "Schläfst du auch mal irgendwann?". Wir machten einen Treffpunkt um zwölfhundert aus. Einen anderen. Eine Hackerkneipe namens Zuses Use ´n´ Loose in Hanau. "Schick den anderen einfach Geoping und Uhrzeit."
Mir schoss noch durch den Kopf, dass ich gar keine Geckohandschuhe hatte. Ich rief Neo an. Er auch nicht. Also machten wir uns zusammen auf, welche zu kaufen. In Ferdis Bergwander- und Naturzubehör in Hanau-Steinheim. Idyllisch gelegen in einer Räumlichkeit innerhalb der Burgmauer in der Innenstadt, mitten in der Fußgängerzone...
Der Laden stellte sich als Teil des "Alpenvereins deutscher Länder" heraus. Im Gegensatz zum "Deutschen Alpenverein" nicht so national, mit den österreichischen und schweizerischen Mitgliedern sogar so etwas wie international. Zumindest meinte der Inhaber Horst Schulz das. Hier gab es jegliche Survival- und Campingausrüstung. Auch alles für Natursportarten wie Klettern, Paragliding oder Fallschirmspringen. Sogar Bögen und Armbrüste gab es. Wir bestellten für Neo und mich je zwei Paar Gecko-Handschuhe. Da das Express sein musste, war es dementsprechend teuer. Klappte aber. Sollte man für den vierfachen Preis auch erwarten können. Für Neo musste ich auslegen... Nun ja, zumindest hielt uns Herr Schulz für Wilderer und ließ erkennen, dass er damit kein Problem hatte. Da gab ich noch eine verstärkte Enterhakenkanone in Auftrag. Mal schaun.
Dann weiter mit dem Bulldog zum "Loose´n´Goose". Der Ping führte uns zu einem Hochhaus. Die Kneipe sollte im 15. Stock sein.
"Nachdem das eine Hacker-Kneipe ist, lieber alles auf offline stellen...", murmelte ich vor mich hin.
Neo musste mich gehört haben: "Das ist ne Matrix-Kneipe? Woher weißt du das?"
"Hat mir Jay gesagt."
"Warum sagt der mir sowas nicht?! Habe nur einen Geo-Ping und die Zeit bekommen."
Richtig. So sagte ich ihm das. "Ich schätze, er hat haargenau das gemacht, was ich ihm gesagt hatte."
Wir schalteten also beide alles off. Dauerte bei mir etwas. Weder vor noch im Hochhaus wies irgendetwas auf eine Kneipe hin. Im Fahrstuhl gab es keinen Knopf für die 15. Nach der 14 kam einfach die 16. Erst ein Blick in die AR löste das Problem. Wir drückten also den Button in der Matrix. Oben ein dunkler Raum mit Schwarzlicht. Sessel, Sofas, alle Fenster mit dünnen, schwarz gestrichenen Wänden abgestellt. An der Bar war Jay mit einer Frau mit AR-Brille. Ich konnte hören, was sie ihn gerade fragte: "Und wer von denen ist der Köter? Nicht der Troll, also der andere."
Jay wendete sich zu uns: "Ich komm gleich zu euch."
Wir setzten uns in eine der vielen Ecken mit Sessel und Sofas. Die Kneipe war absolut still. Außer den Geräuschen, die die Läute mit ihren Bewegungen machten. Gleichzeitig schien die Tussi vorhin das Gefühl gehabt zu haben, dass sie flüstere. Dafür war ihre Stimme aber doch zu laut. Nachdem ich keine Karte auf dem Tisch oder an einer Wand sah, schaute ich doch wieder in die AR. Sofort ertönte Musik. Während ich die Karte mit komplett überzogenen Preisen aufrief und überflog, öffnete sich der Aufzug und Tatze kam in Menschengestalt herein.
"55 Öcken für n Bier? Die können wohl auf Kunden verzichten." Ich konnte ein kurzes Lachen nicht unterdrücken.
Wahrscheinlich nur Fassade. Ich sah mich um. In einer Ecke standen einige Automaten mit Soft-Drinks. Ich ging hin. Gerade wollte ich einen Cred einschieben, als mir wieder einfiel, wo ich war.
Ist zwar nur Kleingeld, aber wer lässt sich freiwillig beklauen? Die ziehen mir den Stick einfach leer.Als ich gerade ausholte, um einen Automaten zu demolieren, hörte ich von hinten: "Wer wird denn gleich alles kaputt machen..." Eine junge Frau kam vorbei. "Was willst du haben?" Ich zeigte auf eine Buzz. Sofort öffnete sich das Fach.
"Was willst du dafür?"
Sie zuckte mit den Schultern. "Gib mir nen Drink aus, wenn wir uns wieder treffen."
Als ich zurück kam, waren alle da. Auch Jay. Wir nahmen uns einen abgeschirmten Raum, den es hier gab.
"Also Jay, ich bin mal alles durchgegangen." Ich erleuterte den Plan grob. "Also in der realen Welt ist alles klar, aber ich weiß nicht, ob du das alles in der Matrix schaffst."
"Das kann ich nicht alles gleichzeitig machen, das habe ich vor zwei oder drei Tagen schon gesagt..."
"Das ist mir dann wohl entgangen."